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Chill mal, Baby!

Da sitzt er, der nette Kerl, und macht sich Notizen. Es ist einer dieser Speed-Networking-Events, und wir haben gerade den Tisch gewechselt.

An jedem Tisch drei neue Gesprächspartner: «Wer bist Du? Was machst Du? Ah, interessant.» Mal wird der Austausch persönlich, mal verharrt man an der Oberfläche. Und ganz manchmal schüttelt’s mich innerlich und ich bin froh, wenn ich bald das Weite suchen kann.

Der Kerl also. Ganz offenbar hat er eine Mission: Er will im grossen Stil Neukunden gewinnen. Ein richtiger Auftragsfischer, der nichts unversucht lässt. Wäre er auf Partnersuche, würde das heissen: Tinder, Parship, Kochtreffs, Tanzkurse, Rendez-vous im Kunstmuseum. Wenn er dann eine an der Angel hätte, würde er ihr den Hof machen und ihr so lange auf die Pelle rücken, bis sie die Waffen streckt.

Am Ende unserer kleinen Runde stellt er die obligatorische Frage: «Darf ich noch Deine Visitenkarte haben?» Nein, will ich sagen, denn ich weiss, was darauf folgen wird.

So sitzt er da und notiert alle Einzelheiten, die er bei seinen Gesprächspartnern am vorigen Tisch aufgeschnappt hat. Familienstand, Position im Unternehmen, Tics und das Buch des Monats. Am Ende unserer kleinen Runde stellt er die obligatorische Frage: «Darf ich noch Deine Visitenkarte haben?»

Nein, will ich sagen, denn ich weiss, was darauf folgen wird: die Akquise-Mail mit seinem Angebot und natürlich die Verlinkungsanfragen auf Xing und LinkedIn – weil wir so ein tolles Gespräch hatten. Zack! Er wirft sein Netz aus und lässt mich nicht mehr los.

Nach dem Webinar werde ich mit Werbemails bombardiert.

Wenn Akquise für die potenzielle Kundin anstrengend wird, ist etwas schiefgelaufen. Wie bei jenem inspirierenden Podcast, mit dem sich eine Unternehmerin in mein Herz geplaudert hatte. Sympathischer Auftritt, tolles Angebot – klasse Kombi! Ich bin schliesslich so begeistert, dass ich aus der Anonymität der Podcast-Hörerin heraustrete und mich für ein kostenloses Webinar anmelde. Super Inhalt, ich will mehr davon! Doch nach dem Webinar werde ich mit Werbemails bombardiert, in der ersten Woche mindestens eine am Tag.

«Der Spezialpreis gilt nur noch bis morgen.»

«Ein kleiner friendly reminder.»

«Baby, Du willst es doch auch.»

Der grosse Ablöscher.

Ich merke, da bin ich in eine Sales-Funnel-Maschinerie geraten. Und die passt so gar nicht zu der sympathischen, authentischen Unternehmerin. Das wird mir zu viel. Zuviel Druck, zu penetrant. Schade, hätte ein gutes Geschäft werden können. Das Podcast-Abo habe ich wieder beendet. Chill mal, Baby.

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