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Überstunden in den Sand setzen

Es gab eine Zeit, da stolperte man in meinem Zuhause noch nicht über Monstertrucks und in der Küche hingen keine «Mami, ich hab Dich sooo lieb»-Zeichnungen. Es war die Zeit, als ein Ritual einen festen Platz in meiner Arbeitswelt hatte: das Feierabendbier.

Am schönsten war es, wenn richtig viel los war. Wir arbeiteten bis spät, gaben alles und noch mehr und trafen uns hinterher in der Bar nebenan. Wir vertieften Projekte, schimpften gemeinsam über mühsame Kunden, und nebenbei erfuhr man all die wichtigen Dinge, die im Redaktionsalltag sonst keinen Platz hatten. Wer auf dem Personalfest mit wem verschwunden sei, wer auf der Abschussliste stehe und welche Umstrukturierungen der Chef habe durchsickern lassen. Die beim Feierabend gefühlte Verbundenheit löste sich an der nächsten Sitzung wieder auf. Was aber blieb, war das reichhaltige Wissen vom Vorabend. Das Feierabendbier, ein wertvolles Ritual.

Länger arbeiten? Höchstens zu Hause. Bier? Nicht während der Stillzeit.

Mit der Geburt des ersten Kindes gehörte es der Vergangenheit an. Länger arbeiten? Höchstens zu Hause. Bier? Nicht während der Stillzeit. Auf einmal war es besser, zeitig das Büro zu verlassen und in die Krippe zu hechten.

Mein letztes richtiges Feierabendbier liegt Jahre zurück, und weil After-Work-Treffen auch in nächster Zeit nicht zur Regelmässigkeit werden, habe ich ein anderes Freizeit-/Businessformat gefunden: Robinson-Networking. Es kann praktisch an jedem Papi- oder Mamitag durchgeführt werden, schon ab zwei Personen. Als Location eignen sich Abenteuer-Spielplätze, der Wald oder andere Orte mit Pfützen. Und nicht einmal gutes Wetter ist notwendig. Im Gegenteil: In Pelerine und Matschhose lässt sich realistischer über Kooperationen und den Feinschliff eines Projekts sprechen als in Hemd oder Bluse. Dazu kommt: Robinson-Networking passt perfekt zum Zeitgeist der gesunden Ernährung, weil weitgehend alkoholfrei. Hat die Wirtschaft erst einmal herausgefunden, wie ergiebig diese Meetings zwischen Klettergerüst und Nestschaukel sind … warten Sie mal, wie viele Teilzeitpapis dann ihre Karriere sprichwörtlich in den Sand setzen!

Robinson-Networking passt perfekt zum Zeitgeist.

Trotzdem: So ganz verworfen habe ich die Idee des Feierabendbiers natürlich nicht. Bald soll in Zürich ein Coworking-Space mit Kinderbetreuung eröffnen. Flexible Öffnungszeiten und viele berufstätige Eltern: Da liegt bestimmt auch ein effizientes After-Work-Treffen drin.

Die Kolumne ist Teil der Serie «Mehrwert» des Verbands Frauenunternehmen,
erschienen 18. April 2019 in der «Handelszeitung».

PS: Das Crowdfunding-Projekt für den Coworking-Space Tadah läuft noch bis 30. April auf wemakeit.ch.*

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