«Ein einzelner Mann verändert keine Unternehmenskultur»
Pauline Tillmann ist Journalistin aus Leidenschaft, Herausgeberin eines Online-Magazins und bald zweifache Mutter. Im Interview spricht sie über Organisation im Alltag, über die Wahl des richtigen Partners und über Elternzeit als Privileg fürs Unternehmen.
Pauline, wie meisterst Du den Spagat zwischen Beruf und Familie?
Pauline Tillmann: Das ist eine riesengroße Herausforderung – wie für alle berufstätigen Mütter und Väter. Für mich war immer klar, ich möchte mit meinem Mann zwei Kinder haben. Gleichzeitig möchte ich mich beruflich verwirklichen. Der Job ist für mich nicht nur Beruf, sondern Berufung. Ich bin Journalistin aus Leidenschaft. Und deshalb war immer klar, dass ich beides irgendwie unter einen Hut bekommen muss. Mein Sohn Henri geht in die Kita, seitdem er zehn Monate alt ist, und wenn er da sieben Stunden betreut wird, ist alles prima. In dieser Zeit kann ich im Homeoffice arbeiten. Wenn er sich allerdings was in der Kita einfängt und krank wird, bricht das ganze – zugegebenermaßen fragile – Konstrukt zusammen. Dann muss ich zwei, drei Tage mit ihm zu Hause bleiben und muss meine Sachen abends und am Wochenende erledigen. Das geht natürlich ziemlich an die Substanz. Zum Glück ist er relativ robust und es kommt nicht mehr so oft vor, dass er dauerhaft krank ist.
Augen auf bei der Partnerwahl
Wie seid Ihr organisiert, z. B. wenn Du auf Auslandsreise bist?
Mein Mann muss kürzer arbeiten. Er ist Projektleiter in der Schweiz und geht um sechs Uhr morgens aus dem Haus. Wenn ich unterwegs bin, muss er den Kleinen um acht zur Kita bringen und kann erst später zur Arbeit. Wenn ich länger unterwegs bin – wie nächste Woche fünf Tage Recherche in Warschau – dann kommen auch mal ausnahmsweise die Großeltern und bringen Henri zur Kita. Dann kann mein Mann ganz normal arbeiten, auch wenn ich weg bin. Aber das nehmen wir nur in Anspruch, wenn ich länger als drei Tage unterwegs bin. Meistens sind es ja nur zwei oder drei Tage, wenn ich zum Beispiel auf Konferenzen moderiere oder eine Keynote halte. Das schafft er inzwischen ganz gut allein.
Welche Tipps hast Du für andere Eltern?
Wichtigster Tipp: Augen auf bei der Partnerwahl. Zweiter Tipp: Überlegt euch genau, wie ihr das mit der Elternzeit macht. Eigentlich dachte ich, dass wir uns das als emanzipiertes Paar gleichberechtigt aufteilen können. Aber das war ein Trugschluss. Mein Mann arbeitet, wie gesagt, in der Schweiz und da hat er keine zwei Monate unbezahlten Urlaub bekommen, um Elternzeit in Anspruch zu nehmen. Beim zweiten Kind, das im Juni auf die Welt kommt, wollen wir das anders machen. Außerdem sollte man immer darauf achten, dass jeder Freiräume bekommt, um etwas für sich zu machen. Ich habe zum Beispiel angefangen, wieder Volleyball zu spielen. Mein Mann geht regelmäßig in den Kraftraum. Grundsätzlich ist ja die Zeit für sich durch ein Kind auf ein Minimum reduziert, aber es ist enorm wichtig, dass man mit seinen Bedürfnissen nicht gänzlich auf der Strecke bleibt. Denn das führt zu Unzufriedenheit und das bekommen auch wieder die Kinder zu spüren. Außerdem sollte man es schaffen, sich zwischendurch auch Zeit als Paar freizuschaufeln. Das ist das, was immer hinten runterfällt, weil man es als nicht so prioritär einstuft. Ich glaube aber, es sollte sehr hohe Priorität genießen, weil eine gesunde Paarbeziehung das Fundament einer glücklichen Familie ist.
Das Elterngeld ist eine große Errungenschaft in Deutschland.
Was können wir tun, damit alle Beteiligten glücklicher sind?
Sich Hilfe von außen holen, zum Beispiel eine Haushaltshilfe, die das Putzen der Wohnung übernimmt. Oder eine Babysitterin, die einmal in der Woche mit dem Kind auf den Spielplatz geht. Außerdem sollte man versuchen, Dinge zu tun, die einen selber zufriedener machen – ob mit Kind oder ohne. Sei es ein Besuch in der Sauna oder ein ausgiebiges Frühstück mit der besten Freundin. Wenn das Kind klein ist, funktionieren wir oft nur. Aber wir sollten auch darauf achten, dass wir uns Inseln schaffen, bei denen wir Kraft tanken können. Früher hat man immer von Work-Life-Balance gesprochen. Mit Kind geht es nicht nur um Arbeit und Freizeit sondern auch darum, dass alle in der Familie ihren Grundbedürfnissen nachkommen können. Und ein Grundbedürfnis ist eben, Zeit für sich zu haben.
Wie erlebst Du die Realität von berufstätigen Müttern in Deutschland?
Berufstätige Mütter befinden sich immer im Spagat zwischen Kind und Karriere. Manche bekommen Unterstützung durch die Großeltern oder Freunde. Doch die meisten sind auf sich selbst gestellt. Es gibt ja ein afrikanisches Sprichwort das besagt: „Um ein Kind großzuziehen, bedarf es ein ganzes Dorf.“ Und tatsächlich war es früher einfacher, glaube ich, weil die Familie räumlich nicht so weit getrennt war. Heutzutage ist es völlig normal, dass man aufgrund des Jobs in eine größere Stadt zieht und die Eltern, respektive die Großeltern des Kindes, Hunderte Kilometer entfernt wohnen. Das führt dazu, dass man die Betreuung selber organisieren muss. Und das ist und bleibt eine ziemlich große Herausforderung.
Durch Dein digitales Magazin „Deine Korrespondentin“ hast Du direkten Einblick in andere Weltgegenden: Wie leben berufstätige Mütter dort?
Das ist ganz unterschiedlich. Wenn wir zum Beispiel nach Russland blicken, wo ich mich vor allem auskenne und wo ich auch länger gelebt habe, ist die Scheidungsrate mit 50 Prozent enorm hoch. Oft wachsen die Kinder ohne Vater auf. Wenn man dagegen nach Skandinavien blickt, so ist die Arbeitszeit viel flexibler und sowohl Mütter als auch Väter können mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. In den meisten Ländern der Welt gibt es so etwas wie Elterngeld gar nicht. Das ist, finde ich, eine große Errungenschaft in Deutschland. Denn das stellt sicher, dass man sich gerade im ersten Lebensjahr des Kindes, das sehr wichtig für die Bindung ist, um den Nachwuchs kümmern kann, ohne Existenzängste haben zu müssen.
Ich wünsche mir, dass man Elternzeit letztlich auch als Bereicherung fürs Unternehmen empfindet.
Du bist Feministin, Dein Mann arbeitet 100 Prozent. Was muss sich ändern, damit Frauen und Männer im Berufsleben gleichgestellt sind?
Ich arbeite inzwischen auch wieder 80 Prozent. Das ist gar nicht so wenig. Grundsätzlich würde ich mir natürlich wünschen, dass auch mein Mann weniger arbeitet, aber da stößt er bei den unternehmerischen Strukturen an seine Grenzen. Die sind, gerade in der Schweiz, nicht so flexibel wie sich das viele Angestellte heutzutage wünschen würden. Natürlich müssen das die Männer auch stärker einfordern, aber ein einzelner Mann verändert leider keine Unternehmenskultur. Dafür braucht es eine kritische Masse, die – noch – nicht erreicht ist. Grundsätzlich bin ich aber optimistisch, dass wir auf einem guten Weg sind und sich da in den nächsten Jahren noch einiges ändern wird.
Wer kann / muss handeln – der Arbeitgeber, die Politik, jeder Einzelne?
Ich würde mir wünschen, dass vonseiten der Politik der Kita-Ausbau noch stärker vorangetrieben wird. Da ist in den vergangenen Jahren schon sehr viel passiert. Aber wir merken an allen Ecken und Enden: Es reicht bei weitem noch nicht aus. Wenn man sich für einen Kita-Platz bewirbt, ist das ein einziges Bangen. Dabei wollen, so jedenfalls meine Erfahrung, viele Frauen bald nach der Geburt, wieder anfangen zu arbeiten. Deshalb sollte man ihnen auch die Möglichkeit dazu geben. Außerdem sollte ein Umdenken in den Unternehmen stattfinden. Ich würde mir wünschen, dass man Elternzeit nicht als Knick in der Karriereleiter empfindet, sondern als großes Privileg und letztlich auch als Bereicherung fürs Unternehmen. Denn gerade Männer können von dieser Zeit enorm profitieren, was soziale Kompetenzen angeht. Deshalb sollte das vonseiten der Arbeitgeber am liebsten explizit gefördert werden, zumindest jedoch gutgeheißen und unterstützt werden.
Beitragsbild: Evgeny Makarov