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Schickt mehr Post!

Mademoiselle hat ein ganz und gar ungetrübtes Verhältnis zum Briefkasten. Bisher war es so: Beim Nach-Hause-Kommen stoppte ich den Kinderwagen am Briefkasten, sagte „Ich schau noch rasch, ob Post gekommen ist“ und tat das dann. Lange Zeit nahm Mademoiselle das einfach hin. Inzwischen weiss sie, dass der Postbote manchmal auch etwas für sie mitbringt.

Jetzt ist es so: Wir kommen nach Hause, sie rennt voraus und sagt: „Soll ich noch schauen, ob Post gekommen ist?“ und dann tut sie es, kribbelig und ganz gespannt ob der Überraschungen, die da auf sie warten könnten. Nur ganz selten findet sie wirklich eine Karte, einen Brief oder ein Päckchen, die an sie adressiert sind. Wenn wieder einmal nichts für sie dabei ist, seufzt sie tief und sagt: „Der Briefträger weiss wohl immer noch nicht, wo wir wohnen!“

Heute bekommen wir E-Mails, und auch da gibt es Tage, in denen ich beim Check meines Postfachs genauso unruhig bin wie Mademoiselle am Briefkasten. E-Mails sind klasse – wenn man nicht zu viele davon bekommt. Wie müssen die Menschen früher ohne E-Mails gelebt haben, und wie hoch waren ihre Telefonrechnungen? Wie oft mussten die Menschen einander wegen Belanglosigkeiten wie Geburtstagsglückwünschen anrufen, während wir uns heute knapp schriftlich verständigen können? Wie oft konnten sich die Leute dann nicht voneinander verabschieden, weil einer immer noch sagte: „Aber DAS muss ich Dir jetzt noch erzählen.“ Und wenn er dann fertig erzählt hatte und auflegen wollte („Jetzt will ich Dich nicht länger aufhalten.“), sagte der andere: „Genau. Da fällt mir etwas ein, das muss ich Dir jetzt noch erzählen.“ Nicht effizient, aber irgendwie noch nett.

Dass ich heute wieder ein ähnlich ungetrübtes Verhältnis zum Briefkasten habe wie Mademoiselle, ist einem Missverständnis geschuldet. Weil ich meiner Freundin einen „Briefwechsel“ vorschlug und sie darunter natürlich einen Briefwechsel verstand. Und weil ich sie nicht korrigieren wollte, weil mir das Missverständnis gefiel.

Ich bekomme jetzt wieder handgeschriebene Briefe auf Papier und mit Briefmarke, mit durchgestrichenen Wörtern und manchmal mit beigelegten Dingen aus Papier. Der Briefträger weiss wieder, wo ich wohne. Und in einer halben Stunde ist Feierabend.

Ich kann’s kaum erwarten.

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