Urlaub, lebenslang
Sie kommt immer wieder. Vielleicht hebt sie noch die rechte Augenbraue, aber sonst macht sie nichts, ausser im Raum zu stehen – die Frage: Wozu eigentlich Ferien?
Ja, wozu? Bevor man den Schreibtisch verlässt, schuftet man, damit man sich die eigene Abwesenheit überhaupt erlauben kann. Es gibt noch 100 Dinge zu erledigen. Atemlos hechelt man die To-do-Liste ab, tut, was man kann und schiebt, was unmöglich ist, nach hinten. Urlaub ist Stress pur. Und zu Hause wartet noch die eigentliche Reisevorbereitung: Unterkünfte checken, Anreise organisieren, packen. Bis es geschafft ist.
Die Kolumne ist Teil der Serie «Mehrwert» des Verbands Frauenunternehmen., erschienen am 22. August 2019 in der «Handelszeitung».
Die Stellvertretung im Büro übernimmt meine Abwesenheitsmeldung. Die Unterkunft ist ein Traum (Bio-Bauernhof, sogar mit Ponys). Die Anreise vom Festland ist easy, wenn man ohne Auto kommt. Und Kofferpacken für drei Personen kann ich inzwischen im Schlaf. Prä-Urlaubssyndrom? Bah! Die ganze Aufregung war umsonst. Wie lange habe ich mich auf diesen Moment gefreut! Die Ferien können kommen.
Und sie kommen. Im Auto haben wir die Wahl zwischen Bibi Blocksberg, «Roti Rösli im Garte» und streitenden Kindern. Die Unterkunft ist überraschend anders: Ponys gibt es nicht, nur zwei störrische Esel. Aber nein, natürlich würde ich sie nie wieder hergeben wollen, die Ferien. Wegen der Zeit zum Durchatmen, wegen der Langeweile. Wegen des 700-Seiten-Wälzers im Gepäck. Wegen der neuen Geschmäcker und der neuen Gerüche. Und weil am Ende der Sommerferien immer ein Schalter umgelegt ist. Nach zwei Wochen intensiver Familienzeit freue ich mich unbändig auf meine Arbeit. Auf wundersame Weise kehrt ein neuer Mensch zurück an meinen Schreibtisch. Einer, der mal wieder die Adlerperspektive eingenommen hat, der die grossen Linien sieht und die Prioritäten entsprechend setzen kann.
Die Urlaubsforschung hat gezeigt, dass wir nach einer längeren Auszeit kreativer sind als vorher – durch den Leerlauf im Kopf und die neuen Erfahrungen, die wir gemacht haben. Blöd nur, dass sich schon beim Grenzübergang eine dunkelgraue Wolke vor meine kreative Sonne schiebt: Warten da nicht eine Menge unerledigte Dinge auf mich? Steuererklärung, Buchhaltung, … Mein Atem verflacht sich spontan.
Ich nehme mir vor, mehr Urlaub im Alltag unterzubringen. Pausen einlegen, spazieren gehen, tief durchatmen: Das werde ich tun. Am besten gleich jetzt.