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«So wird die Kommunikation viel präziser»

Ob in E-Mails, in Textnachrichten oder im Gespräch: Wir kommunizieren den ganzen Tag – und häufig leichtfertig. Was ändert sich, wenn wir unsere Sprache achtsam einsetzen? Ein Gespräch mit Miriam Christen-Zarri über Wörter, Wahrnehmung und Möglichkeiten.

Miriam, Du arbeitest besonders achtsam, wenn es um Sprache geht. Positive Sprache, ressourcenorientierte Sprache, anwesende Sprache: Was ist die Idee dahinter?
Miriam Christen-Zarri: Wie ich Sprache verwende, gründet in meiner Haltung. Ich gehe davon aus, dass Sprache Wirklichkeit erschafft. Die neurowissenschaftliche Forschung hat herausgefunden, dass alles, was negiert wird – mit Verneinungen, mit nicht im Satzbau –, kognitiv nur schwierig verarbeitet wird.

Unser Hirn nimmt die Verneinung nicht an.
Genau. Was positiv formuliert ist, wird verstanden.

Du formulierst Verneinungen um und wählst andere Ausdrücke.
Genau. Wenn ich in der anwesenden Sprache spreche, arbeite ich ressourcenorientiert und bewege mich im Wollen-System. Im Wollen-System wird kreativ gedacht, weil es die entsprechenden Bereiche im Gehirn aktiviert.

Sprache erschafft Wirklichkeit.

Kannst Du ein Beispiel nennen?
Mutlos: Das ist die Abwesenheit von Mut. Es ist schwierig, mit etwas Abwesendem zu arbeiten. Viel einfacher ist es, wenn ich weiss, was da ist. Wie fühle ich mich, wenn ich mutlos bin? Bin ich dann traurig, bin ich ärgerlich, bin ich zickig? Ich versuche, das Gefühl der Mutlosigkeit präzise zu beschreiben.

Du versuchst zu beschreiben, was ist.
Ja. Und das Wollen-System steht im Gegensatz zum Müssen. Müssen, das kommt von aussen. Es ist das Zwangssystem, welches die Fähigkeit fördert, sich anzupassen. Der Preis für die Anpassung kann oft sehr hoch sein.

Wie steht es mit sollen?
Auch sollen gehört in das Zwangssystem, es ist weniger stark, fördert aber auch die Anpassung und schränkt den Möglichkeitsraum ein. Meistens wissen wir ja ganz genau, was wir nicht wollen. Und interessant ist auch die schweizerische Ausdrucksweise.

Es ist schwierig, mit etwas Abwesendem zu arbeiten.

Wie sprechen die Menschen in der Schweiz?
Die Schweizerinnen und Schweizer sprechen sehr oft im Konjunktiv. Diese Möglichkeitsform ist immerhin ein erster Schritt, den Willen auszudrücken. Aber klar zu sagen, was ich will, was ich brauche, das gibt eine andere Kraft. Das fängt schon an, wenn ich sage: «Ich wünsche.» «Ich wünsche»: Das fühlt sich bereits anders an. Es öffnet die Perspektive. Wünschen aktiviert die Gefühle Sehnsucht und Begierde. Durch das Wünschen betrete ich den Raum der Fantasie und schwelge in den Möglichkeiten, die sich mir da auftun.

Wie drückst Du Dich aus, wenn Du einen Wunsch hast?
Natürlich übe auch ich immer noch. Es gibt Tage, da gelingt es mir wunderbar. An anderen funktioniert es gar nicht. Wenn ich mich ungerecht behandelt oder angegriffen fühle, dann ist das mein Gefühl. Will ich mich denn angegriffen fühlen oder ordne ich es anders ein: als einen Ausbruch meines Gegenübers? Hier kann ich die Perspektive wechseln und mich fragen, welche Möglichkeiten mir dieser Ausbruch meines Gegenübers bietet. Ich öffne einen Raum – oder ich mache zu, um mich zu schützen.

Bei meiner Recherche bin ich mehrmals auf diesen Gedanken gestossen: Wenn Du in der positiven Sprache kommunizierst, denkst Du schon in Richtung Lösung, anstatt nur das Problem zu sehen.
Ich denke in Möglichkeiten, ich spanne einen Möglichkeitsraum auf. Sonst bin ich immer defizitär unterwegs. Und dann ist klar, alles ein Problem. Ich sehe nicht nur eine Herausforderung, dann wird es wirklich ein Problem. Und somit nähere ich mich nicht der Lösung.

Ich denke in Möglichkeiten.

Wenn ich schriftlich kommuniziere, kann ich mir mehr Zeit nehmen und meine Sprache reflektieren. Welche Erfahrungen hast Du hier gemacht?
Schriftliche Kommunikation ist ein wunderbares Übungsfeld. Als wir für meine Website zusammengearbeitet haben, habe ich Dir meine Vorstellungen erzählt und auch, was mir wichtig ist. Was mich da sehr berührt hat, war, dass Du das sehr gut erfasst hast. Ich glaube, es waren drei Wörter, die für mich nicht stimmig waren, weil sie eben nicht in der anwesenden Sprache waren. Beispiel: angstfrei. Ein toller Gedanke, frei von Angst, aber eben wieder diese Abwesenheit. Gerade in der schriftlichen Kommunikation werden mir solche Sachen bewusst. In der anwesenden Sprache wird die Kommunikation sehr viel präziser.

Brauchst Du jetzt für E-Mails mehr Zeit als früher?
Nein, nein. Meistens fällt mir das leicht, und ich schaue nicht jede E-Mail dreimal durch.

Aufwand und Ertrag stimmen?
Ja, es ist wichtig, dass die beiden sich die Waage halten. Es ist wichtig, dass die Lust am Schreiben erhalten bleibt und ich Lust habe, neue, präzisere Wörter zu entdecken. Aber ich habe zum Beispiel meinen letzten Satz geändert, obwohl ich ihn so schön finde: «Zögern Sie nicht, mich anzurufen.» Dass Du nicht zögern sollst, das will ich nicht schreiben. Ich wollte eine einladende Formulierung finden.

Was schreibst Du jetzt?
Erst «Bei Fragen und Unklarheiten», und auch da die Abwesenheit. Jetzt also: «Bei Fragen kontaktieren Sie mich» oder «Wenn Sie noch mehr Klarheit wünschen, bin ich für Sie da» – je nach Kontext.

Wenn es um Sprache geht, schaut Miriam Christen-Zarri ganz genau hin. Denn Sprache verändert unseren Kontakt mit anderen. In ihrer Masterarbeit setzte Miriam sich intensiv damit auseinander, wie Sprache unsere Wirklichkeit beeinflusst. Mit ihrem Unternehmen Auftakt begleitet sie Einzelpersonen und Organisationen im Wandel. Im Kurs Bloggen mit Plan leitet sie das Sprachlabor. www.auftakt.jetzt

Eine so bewusste, achtsame Verwendung der Sprache ist anspruchsvoll.
Je mehr ich übe, desto präziser wird die Sprache und desto leichter fällt es mir. Nehmen wir Adjektive. Da gibt es so viele, die negativ konnotiert sind. zickig ist ein gutes Beispiel. Total negativ, aber wieso? zickig kann auch etwas Gutes haben, weil da auch Energie drinsteckt. Also erstens finde ich das ein tolles Wort – und ja, manchmal fühle ich mich ein bisschen zickig. Dann begehre ich nicht auf oder bin nicht ärgerlich. Dann bin ich einfach ein bisschen zickig, weil ich eine Lösung finden will, die mir noch mehr entspricht oder die noch runder ist, ich ringe also mit mir.

Wenn ich ein schwieriges Thema schriftlich kommunizieren möchte: Kann ich Menschen mithilfe der positiven oder der gerechten Sprache eher ins Boot holen?
Grundsätzlich lohnt es sich, das auszuprobieren. Nichtsdestotrotz liegt es auch dann beim Gegenüber, was es mit Deiner Nachricht macht; das Dilemma «senden und empfangen».

Wie meinst Du das?
Nehmen wir an, Du hast Dir drei Stunden Zeit genommen, mir in einer Mail etwas auseinanderzusetzen, was mich nicht freuen wird – und ich lese diese Mail nach einer schwierigen Besprechung. Mir brummt der Schädel, und ich habe gerade auch noch meinen Tee verschüttet: Dann kommt Deine Botschaft bei mir kaum an oder sicherlich nicht so, wie du es dir vorgestellt hast. Das ist das Schwierige an der schriftlichen Kommunikation. Erst in einem zweiten Schritt, wenn ich diese negative Grundstimmung wieder verlassen habe, kann ich Deine Mail auch wertschätzen.

Warum lohnt es sich trotzdem, präzise zu formulieren?
Ich bleibe mir treu damit. Ich distanziere mich vom Konflikt und vor allem von den (eigenen) Emotionen und analysiere das Thema anhand der Fakten. Diese Zeit nehme ich mir, weil mein Gegenüber mir das wert ist.

Du hast einen Workshop entwickelt, in dem die Teilnehmenden mit Sprache experimentieren. Erzählst Du uns davon?
Zuerst geht es darum, ein Gefühl für die Sprache zu schaffen. Wie sind wir selbst unterwegs? Sind wir uns unserer Gefühle bewusst? Und dann schauen wir: Wie oft kommunizieren wir mit müssen, sollen, dürfen? Wenn ich dürfen verwende: Wer ist hier die Erlaubnis gebende Instanz? Wir prüfen unsere Sprache und werden uns unserer Gefühle bewusst. Und wir finden heraus, wie ich wertschätzend und empathisch kommunizieren kann – ohne dass mein Gegenüber findet, jetzt dreht sie vollkommen ab.

Wer ist hier die Erlaubnis gebende Instanz?

Ein Training für den bewussten Sprachgebrauch.
Ja. Was ist meine Realität und was könnte die Realität der anderen sein? Denn jeder Mensch konstruiert seine eigene Realität.

Hast Du einen Tipp, wie die anwesende und ressourcenorientierte Sprache beim Bloggen unterstützt?
Ich finde, dass ein Blogartikel lesenswerter ist, wenn er mit unterschiedlichen Adjektiven daherkommt. gespannt, spannend oder auch authentisch: Diese Begriffe haben sich abgenutzt. Wenn ich mir gezielt Gedanken mache, welche Alternativen es gibt, verändert das einen Artikel. Wenn ich zusätzlich darauf achte, dass ich positiv, also ohne Verneinungen formuliere, habe ich mein Ziel erreicht.

Ich stelle mir da eine Badewanne voller Wortschätze vor, aus der man sich bedienen kann.
Genau. Es lohnt sich, gute Adjektive aufschreiben, KI zu fragen, zu googeln, das Synonym-Wörterbuch einmal hervorzunehmen. Und dann: Die deutsche Sprache ist wunderbar, es braucht keine Anglizismen. Mein Ansatz ist: Ich will verstanden werden. Und wenn ich im deutschsprachigen Raum kommuniziere, gehe ich davon aus, dass grossmehrheitlich Deutsch verstanden wird. Dann versuche ich – auch wenn es trendy ist – Anglizismen zu vermeiden.

Es lohnt sich, gute Adjektive aufzuschreiben.

Gibt es Anglizismen, die Du trotzdem verwendest?
Ja, natürlich. Haufenweise. Oftmals ärgere ich mich über mich. Wieso sage ich Feedback geben, wenn es das wunderbare Wort Rückmeldung gibt? Ich melde Dir etwas zurück. Damit kann ich oder mein Gegenüber doch etwas anfangen. Bei Feedback weiss ich nicht, ob dieses Wort von allen verstanden wird. Es ist mir wichtig, adressatengerecht zu kommunizieren. Wenn ich mit jungen Menschen spreche, verwende ich eher Anglizismen, weil ich sie ansprechen und somit abholen will. Wenn ein Anglizismus ein Türöffner ist, dann bediene ich mich dieses Werkzeugs.

Am Ende geht es darum, verstanden zu werden.
Genau. Wenn ich zum Beispiel vor einer Ärzteschaft spreche: Diese Menschen sind umgeben von Fremdwörtern. Dann überlege ich mir, ob ich das auch will – oder ob ich vielleicht absichtlich anders spreche, um einen Nerv zu treffen und zu sagen: «Ihr wisst so viel, aber Ihr werdet nicht verstanden.»

Ich würde mir jetzt so eine Wörter-Badewanne einlassen. Das reizt mich gerade sehr.
Das ist auch mein Ziel: Dass ich Lust auf Sprache habe und mich mit mir selber auseinandersetzen will. Verbissen zu sein, ist mir zu anstrengend: «Das darf ich jetzt alles nicht mehr.» Sich neugierig darauf einlassen und schauen, was entsteht.

Gibt es zum Abschluss noch etwas, das Du anfügen möchtest?
Ich empfehle, Abschied zu nehmen vom Zwangssystem (müssen und sollen) – und leichtfüssig hineingesprungen ins Wollen-System. Ich will einen Denkraum eröffnen, in welchem sich die Möglichkeiten zeigen. Die Gesellschaft erwartet so vieles, und so frage ich mich neugierig: «Was will ich denn? Wo sehe ich die Gestaltungsmöglichkeiten?» Zapfen wir im Wollen-System das vernetzte und kreative Denken an.

«müssen» suggeriert das Gefühl, es gibt nur diese eine Möglichkeit.

Alles, worüber wir gesprochen haben, hat mit Akzeptanz zu tun, mit einem Geerdet-Sein.
Müssen suggeriert das Gefühl, es gibt nur diese eine Möglichkeit. Muss ich das jetzt machen? Welche Auswirkungen hätte es, wenn ich es eine Stunde später machen würde? Oder gar nicht? Oder jemand anderem übertragen? Geht dann die Welt zugrunde oder dreht sie sich noch viel schöner?

Es gibt diesen Satz, den ich sehr mag: «Wir müssen nichts auf dieser Welt – ausser sterben.» Er hilft, das Müssen zu hinterfragen. Wenn ich etwas nicht mache, das ich tun müsste, ist das in Ordnung. Wenn ich mit den Konsequenzen leben kann.
Wenn Du zu etwas «Nein» sagst, dann hat das eine Konsequenz, und die hat es auch, wenn Du zu etwas «Ja» sagst. Das sind die zwei Seiten der Medaille. Sie bedingen sich wie Licht und Schatten. Wenn wir den Schatten nicht würdigen, wie wollen wir dann das Licht schätzen? Es lohnt sich, einen Möglichkeitsraum aufzuspannen und alle Optionen zu beleuchten, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen, um ein Thema zu analysieren. Machen wir es empathisch, neugierig und leichtfüssig-lustvoll!

Bilder: Sandra Gill

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