«Wenn Du musst, kannst Du Deine Grenzen sprengen»
Wenige Tage nach der Geburt ihres Sohnes Mikail war Özlem Soylu plötzlich auf sich gestellt. Die neue Situation führte dazu, dass Özlem über sich hinauswuchs. Jetzt erzieht sie Mikail zur Selbständigkeit und sagt: «Er muss wissen, dass die Mama nicht immer alles machen kann.»
Özlem, Du bist die Familie für Deinen Sohn – und gleichzeitig bist Du Deine Firma. Wie organisierst Du Dich im Alltag?
Özlem Soylu: Mein Vater ist im Alltag sehr wichtig. Wenn Mikail krank ist, bin ich da oder sein Opa. Und an normalen Arbeitstagen gibt es die Schülerbetreuung. Ich will meinem Kind auch beibringen, dass ich ihm vertrauen möchte und dass er sich um sich kümmern kann. Es ist wichtig, dass ich mein Kind zur Selbständigkeit erziehe und dass er weiss: Die Mama kann nicht immer alles machen.
Wie erziehst Du?
Ich nenne meinen Erziehungsstil liebevoll und konsequent.
Ich bin oft am Arbeiten, eigentlich ständig. Aber wenn die Hütte brennt, bin ich da.
Hast Du ein Vorbild?
Meine Mutter. Sie war eine sehr liebevolle Frau, und ich versuche, viele Dinge so zu machen wie sie – zum Beispiel unser gemeinsamer Morgen. Ich bin aufgestanden und habe mit ihr gefrühstückt. Es ist egal, was ich gegessen habe. Aber wichtig ist: Sie war bei mir. Daran denke ich oft zurück. Sie hat mir Stabilität und eine gewisse Regelmässigkeit vermittelt.
Was ist mit Deiner Arbeit passiert, als Du Mutter wurdest?
Ich habe mein Geschäft drei Jahre lang geschlossen Ich fühle mich zwar als Karrierefrau, aber ich finde, man sollte am Anfang kürzertreten. Meine Pläne waren immer: drei Jahre Mama und Hausfrau sein, danach neu starten.
Wie wirst Du Deinen hohen Ansprüchen an Dich gerecht?
Ich glaube nicht, dass ein Kind Schaden daran nimmt, wenn eine Mutter alleinerziehend ist. Es kommt auf die Werte an, die man vermittelt. Ich bin oft am Arbeiten, eigentlich ständig. Aber wenn die Hütte brennt, bin ich da. Er weiss: Mama ist mein Fels. Darauf kommt es an, wie die Konstante beim Frühstück. Und in Momenten, die einschneidend sind für ihn, bin ich immer für ihn da.
Meine Mutter hat mir Stabilität und Regelmässigkeit vermittelt.
Hast Du ein Beispiel?
Im Kindergarten in Götzis gibt es ein Abschiedsritual: Die Schulkinder werden praktisch aus dem Kindergarten geworfen und draussen von den Eltern aufgefangen. Das war bei uns am 7.7.2017 – da waren eine Menge Hochzeiten und ich hatte so viel Arbeit. Aber pünktlich zum Rausschaukeln war ich bei meinem Sohn. Das war mir wichtig.
Wie gehst Du damit um, dass Du keinen Chef hast?
Manchmal wäre mir ein Chef lieber, denn ich bin meine grösste Kritikerin. Aber die Existenzängste, die ich vor Mikails Geburt hatte, sind jetzt weg. Obwohl ich jetzt alles alleine mache. Seit mein Kind auf der Welt ist, hat es klick gemacht. Geld ist nicht alles. Natürlich muss ich Fixkosten decken. Aber wichtig ist: Mein Kind ist gesund, ich bin gesund, und der Hund gehört natürlich auch dazu.
Ich erziehe liebevoll und konsequent.
Wie kommst Du runter?
Abends mache ich oft zu Hause Sport oder trinke ein Glas Wein. Die letzten Jahre habe ich viel bewusster gelebt. Ich musste lernen, Prioritäten zu setzen. Brauche ich das wirklich? Will ich echt in den Ausgang? Oder nicht lieber ein bisschen lesen?
Hast Du einen Tipp für andere?
Niemals würde ich mich von meiner Angst leiten lassen, etwas nicht zu schaffen. Man schafft viel mehr, als man sich jemals zugetraut hätte. Ich war eine Woche nach der Geburt alleinerziehend und frage mich heute, wie ich das geschafft habe. Menschen setzen sich ihre Grenzen im Kopf. Wenn Du musst, kannst Du Deine Grenzen sprengen.